Unser Dorf

Historie

Keine Urkunde verkündet es und daher werden wir  wohl nie erfahren, wer unseren Orten ihre Namen gab. Bei den Flurnamen wird es der Bauer gewesen sein, der jedes Feldstück benannte. Beim Ortsnamen mag es einer der Siedler und seine Mithelfer oder eher noch sein Nachbar im nächsten Ort gewesen sein. Seit dem Altertum liebte man es, Orte einfach nach ihren Gründern oder später doch nach ihren bekanntesten Einwohnern zu nennen. Auch verwendete man gerne Ausdrücke des täglichen Lebens oder einfach nur Kurz- und Kosenamen wie z.B. “Der Ort des Betz“ oder dem “Betzchen sein Dorf“

Der Name Betz ist patronymischer Herkunft, d. h. vom Vornamen des Vaters abgeleitet und eine Kurz- oder Koseform der alten germanischen Vornamen “Berechthold“, „Berchthold“, “Bernhold“ oder „Bernhard“. Er bedeutet soviel wie Bärenstark Das bestimmende Grundwort dürfte sich von „Bär“ ableiten.

Da in der Nähe ein “Bernoltesdorf“, das heutige Bernsdorf liegt, dürfte auch Betziesdorf mit der gleichen Sippe in Beziehung zu setzten sein. Die in der Urkunde vom 13. Dezember 1254 genannte Form “Betzchindorph“ könnte sich daher von einer Kurz- oder  Koseform des Namens eines Sippenmitgliedes oder Erstsiedlers ableiten. “Betz – Bär“ oder “Betzchen – Bärchen“ ist eine Verkleinerung wie z. B, Hänschen von Johannes..

“Betz“ als Bestandteil von Ortsnamen findet man in verschiedenen Formen recht häufig. Da gibt es z.B Betzdorf an der Sieg, ein Betzendorf in der Lüneburger Heide und ein Betzendorf in Baden Würtemberg sowie Betzenstein bei Nürnberg, Betzigau im Allgäu bei Kemten und Betzigerode bei Bad Zwesten. Weiter finden wir ein Betzmannsdorf, einen Betzenhof, einen Betzener Hof, vier Betzenmühlen und eine Betzelbacher Mühle. Andere Orte, beginnend mit “Betz“ heißen Betzenberg, Betzenried, Betzenrod, Betzenweiler, Betzers, Betzhorn, Betzien, Betzigen, Betzisried, Betznau und Betzweiler.

Da es in früherer Zeit keine einheitlich festgelegte Rechtschreibung bzw. Schreibweise gab, finden wir im Laufe von fast acht Jahrhunderten, in denen unser Ortsname bekannt ist, mehr als dreissig verschiedenen Schreibarten. In den einzelnen Urkunden und Akten sind folgende Schreibweisen belegt. Nachdem in einer Urkunde von 1123 ein Betzchendorf   erwähnt wird, wird unser Betziesdorf urkundlich zum ersten mal 1254 als Betzchindorph genannt, dann folgt 1259 Becingendorf, 1264 Bezcekendorph, 1280 Bezzekendorf, 1283 Bezzechindorf, 1292 Bechichendorf, 1317 Betzichendorf und Betzichindorf, 1365 Betzchindorff, 1369 Betzechyndorff, 1437 Beczelndorff, 1438 Betzchendorff, 1486 Betzginsdorf, 1489 Bettzenßdorff, Biittzenßdorff und Betzgenßdorff, 1499 Betzenstorff, 1500 Betzendorff, 1509 Bettzendorff, 1529 Bietzgennsdorff, 1530 Berzingsdorff, 1553 Betzgensdorff, 1563 Betzgenßdorf, 1568 Beczinsdorff, 1573 Betzgesdorff, 1575 Betzesdorf, 1583 Bettgensdorff, 1586 Betzgesdorff, 1587 Betzigsdorf und endlich, als Uberleitung zu unserer heutigen Namensform, 1655 Betzigesdorff.

Die Ableitung des Ortsnamens von einem Personennamen deckt sich mit der Erkenntnis der  Forscher, daß “dorf“-Orte Siedlungen sind, die von karolingischen Dienstmannen als erste Siedler angelegt wurden. Im Kreisgebiet finden wir 13 “dorf“-Orte und neun Wüstungen mit dieser Endung. Mehrere dieser Ortsnamen können wir ebenfalls von alten Vornamen ableiten, wenn wir ihre erste, wenigstens ihre ältestbekannte Form kennen: Bernsdorf = Bernoltesdorf von Bernold, Ginseldorf = Günzellendorf von Gunzilo/Gunther, Ebsdorf = Ebilizdorf von Ebilo,  Emsdorf von Emmo oder Immo, Halsdorf = Hadeboldisdorf von Hadebold. Mardorf, Roßdorf und Ebsdorf sind schon vor 800 beurkundet, ein Beweis für das hohe Alter vieler “dorf“-Orte.

So wurden Betziesdorf und auch Bernsdorf vermutlich vom Geschlecht der Konradiner, den Gründern des Stiftes Wetzlar, angelegt. Die Konradiner heißen so nach Konrad dem Älteren, dessen Sohn Konrad der Jüngere als König Konrad I. das Ostfrankenreich von 911-918 regierte. Nach dem Untergang der karolingischen Königsmacht im ostfränkischen Teilreich Ludwigs des Deutschen verstärkten sie ihre Machtbasis mit Schwerpunkt an der unteren Lahn und gründeten um 900 die Kanonikerstifte Wetzlar, Limburg und Weilburg. Unter Konrad I und seinem Bruder Eberhard errang das Haus der Konradiner in Hessen und Ostfranken eine herzogsgleiche Machtstellung. Sie sind binnen weniger Generationen zur mächtigsten Familie Hessens und des Ostfrankenreiches aufgestiegen und herrschten über Grafschaften von der Wetterau über Nordhessen bis nach Thüringen. Schon 920 herrschte der Konradiner Graf Hermann über die Grafschaft Ohm-Lahn.

Aber erst im 12. und 13. Jahrhundert findet man aussagekräftige Urkunden. So datiert eine erste Urkunde aus dem Jahre 1123, worin der Erzbischof von Mainz, Adalbert Graf von Saarbrücken, dem Kloster Hasungen eine Reihe von Schenkungen bestätigt. So auch die eines Volkmar von Itra, der dem Kloster eine Kirche und acht Hufen Land (das sind etwa 190 ha) in Betzchendorf geschenkt hat. Aber da sonst keine Beziehungen der Herren von Itter zu Betziesdorf bekannt sind, kann die im Staatsarchiv Marburg aufbewahrte Urkunde, trotz fast gleicher Namensform des Ortsnamens, nicht eindeutig und sicher auf Betziesdorf bezogen werden. Als ältester Beleg in der gesamten wissenschaftlichen Literatur gilt daher vielmehr eine Urkunde aus dem Jahre 1254, in der unser Betziesdorf zum ersten mal als Betzchindorph erwähnt wird (E.G.Franz, Kloster Haina, Regesten und Urkunden Band I Nr. 236).

Graf Berthold von Ziegenhain bekundet, daß die Witwe des Ritters Ruding von Herboldehusen (Herbelhausen), Ysentrude (Isentrud), da sie nach dem Tod ihres Sohnes Konrad keine Leibeserben mehr hat, ihre sämtlichen Güter in Sindelatsfelde (Sindersfeld), Betzchindorph (Betziesdorf), Beltersdorph (Beltersdorf) und Herboldehusen samt Zubehör sowie alle von ihrem Ehemann hinterlassenen “homines proprios“ (Leibeigenen) mit Zustimmung ihres Bruders Reimbodo, Vogt von Boppendorph (Bottendorf) dem Kloster Hegenehe (Haina) zu Eigen vermacht hat. Die Güter sollen aber erst nach dem Tode beider Geschwister dem Kloster ganz zufallen. Stirbt Isentrud zuerst, so erhält Reimbodo für den Rest seines Lebens die Güter in Sindelatsfelde und Betzchindorph mit der Auflage, jährlich sechs Malter Getreide von den Gütern in Betzchindorph – unter Gefahr des Verlustes aller Güter – an das Kloster zu liefern.

Die Urkunde wurde “a.d.1254, idus decembris, indictione 13“, also am 13.Dezember 1254 durch Berthold von Ziegenhain in Ruschenberg (Rauschenberg) abgesiegelt. Als Zeugen werden u. a. Reinhard von Altenburg, Volpert von Kircdorph (Kirdorf), Konrad von Piefe (Pfieffe), Wiegand von Rumershusen (Rommershausen), Ritter(?) Wiegand, Sohn Bernhelms von Niddehe (Nidda), Arnold von Lazhusen (Loshausen), Werner (von)..nheim, Fr(iedrich…..) gen. Monachus (Mönch) und ein Konrad Uvelakker genannt. Sie wurde “De bonis in Sindelachesfelde, in Betz(….)dorph, in Beltersdorph et in Herboldehusen domine isentrudis relicte domini Rudingi militis“ hinterlegt.
Die Urkunde befindet sich im Hessischen Staatsarchiv Marburg, Kopiar D 41 Nr. 463.

Betziesdorf gehörte zum Besitz des Wetzlarer Stifts und lag in einem größeren Wetzlarer Güterbezirk. Dieser Güterbezirk um den Haupthof Bürgeln wurde 1273 vom Wetzlarer Stift an Konrad, genannt Brundel von Marburg, verlehnt. Es umfasste die noch heute bestehenden Dörfer Betziesdorf, Bracht, Ginseldorf, Schönstadt und Schwarzenborn sowie die Wüstungen Brunshofen, Dampertshausen, Rodenrode, Rondshausen und Waldmühle (meist zwischen Bürgeln und Schönstadt gelegen). Konrad war der Vorfahre der Herren von Fleckenbühl (genannt Bürgel oder Birgel). Sein Vater Andreas hatte schon 1244 die Verwaltung des Wetzlarer Stifthofes Cölbe zu Lehen erhalten. Das Stift Wetzlar verkaufte beide Vogtei- und Stiftshöfe Cölbe und Bürgeln, und damit auch Betziesdorf, am 28. Juli 1334 nach dem Tod Konrads an die Landgrafen von Hessen. Ein Ausgleich zwischen den früheren Besitzern der Vogtei (von Fleckenbühl) und den neuen Herren (Landgrafen von Hessen) wurde jedoch erst 1358 erzielt, als die Landgrafen die von Fleckenbühl erneut mit der Vogtei Bürgeln belehnten. Dabei gerieten die Fleckenbühler aber in eine landgräfliche Abhängigkeit und mussten 1376 ihre Burg Bürgeln den Landgrafen übertragen. Der entgültige Ausgleich erfolgte 1395, als das bisher gemeisam zustehende Gericht Schönstadt zwischen den Landgrafen von Hessen und den Fleckenbühlern aufgeteilt wurde. Dabei wurde auch Betziesdorf wie folgt aufgeteilt:

“Beczigendorff ist geteilt durch der Dutschin heren hob here, glich durch das dorff an dem kirchobe her und nedir gein deme Ebrisberge czu, als die malsteyne sten und uzwisen. Und ist daz oberteil mit dem kirchobe mir Johane (von Fleckenbühl) vorgen. und mynen erben gefallen und daz ander teil uns Herman (Landgraf von Hessen) vorgen. und unsen erben. “

Der Vertrag bestimmt weiter, dass jedem Teil die Gerichtsbarkeit über die ihm zufallenden Leute zusteht. Die Kirchhöfe, gemeinen Weiden, Brunnen, Bäche und Straßen gehören jedoch beiden gemeinsam. Ebenso soll die Verurteilung fremder Verbrecher von beiden gemeinsam erfolgen.

Obwohl die Vogtei Bürgeln und deren Burg ausdrücklich aus dem Teilungsvertrag ausgenommen waren und nur das Erbgut geteilt wurde, mussten die Herren von Fleckenbühl, nachweislich seit 1419, die ihnen zugefallene Hälfte des Gerichts Schönstadt von den Landgrafen zu Lehen nehmen. 1495 musste Groppe von Fleckenbühl seinen Teil wegen Geldmangel sogar an Hessen verpfänden. Erst dessen Schwiegersohn Johann von Hatzfeld löste die verpfändete Hälfte 1515 ein, wofür er die Burg Bürgeln und ¼ des Gerichts Schönstadt als hessisches Lehen für sich behalten durfte. 1611 kommt dann das Hatzfeldsche ¼ durch Heirat an die von Scholley und später durch Kauf an die von Dalwig. Das Fleckenbühlsche ¼ fiel nach deren Aussterben 1796 an Hessen zurück. 1839 kaufte Hessen das letzte Viertel den Herren von Dalwig ab und das ganze Gericht Schönstadt, und damit auch Betziesdorf, war hessisch geworden.

Text von Heinrich Schauer